Qualität meiner (unserer) 87b - Ausbildung

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23 Okt. 2012 19:29 #12269 von natreen
Qualität meiner (unserer) 87b - Ausbildung wurde erstellt von natreen
Hallo,

nach einem für mich anstrengenden Tag schwirren mir einige Gedanken durch den Kopf und ich muss diese los werden.

Was mich beschäftigt: wie seht ihr im Rückblick die Qualität/Praxisnähe eurer Ausbildung zum Demenzbegleiter? Wie ging eure Ausbildung bezüglich der praktischen Umsetzung des erworbenen Wissen vonstatten?

Konkret: wie sah eure Praktikumseinheit aus?

Bei mir war es so, dass ich 6 Monate Schule (ausschliesslich Theorie) hatte, diesen Teil der Massnahme mit mehreren schriftlichen Abschlussprüfungen beendete und dann für zwei Monate ins Praktikum gegangen bin. Am putzigsten war der Teil der Abschlussprüfung, in dem wir eine Gruppenbeschäftigung simulieren sollten - ohne je eine "in echt" gesehen, geschweige denn abgehalten zu haben... Man fasst sich an den Kopf! Nach den zwei Monaten Praktikum gabs dann das IHK-Zertifikat und die Teilnahmebestätigung vom Bildungsträger.

Im Rückblick: wie nützlich bzw. wertvoll fandet ihr eure theoretische Ausbildung in Bezug auf eure heutige Tätigkeit? Ich weiss, wie ein Diabetikerfuss aussieht, kann auf Partys mit Wissen über Rigor, Tremor und Akinese glänzen. Was wende ich davon täglich an? Was brauche ich? Ich habe Kolleginnen, die auch noch einen Spritzenschein in der Ausbildung gemacht haben - nur dürfen wir ja nicht einmal die Tablette, die mir beim Essen reichen von der Pflegefachkraft für den Bewohner auf den Löffel gelegt wird, eingeben. Theoretisch. Was wollen die dann Spritzen?? Vielleicht noch den Insulin-Pen (wenn überhaupt) - aber sonst?

Was mich so wütend  macht, hängt mit meiner heutigen Nachmittagsbeschäftigung  zusammen. Während der kam ich an meine Grenzen.
Ich hatte eine kleine Gruppe von vier Personen, wir spielten "Vertellekes" (sollte ja weithin bekannt sein). Jedenfalls nahm der Nachmittag eine unerwartete und auch tragische Wendung. Nämlich zum Schluss hatte ich drei weinende Frauen um mich herum. Die erste (eine in Beschäftigungen alles ablehnende und verbittert erscheinende BWin) weinte, weil Sie ihren Mann und ihre Tochter überlebt hat und nun ganz alleine ist, im Rollstuhl sitzt, fast nichts mehr selbstständig erledigen kann - sie möchte nur noch sterben und hat die Schnauze gestrichen voll vom Leben, fragte immer und immer wieder nach dem grossen "Warum?" und kann einfach nicht mehr. Die zweite weinte, da ihr Mann nach 60 Jahren Ehe kürzlich gestorben ist und sie das immer noch nicht begreifen kann. Die dritte BWin fing dann aus Mitleid und Erschütterung auch noch an zu weinen.

Tja, und ich?! Mittendrin. Mich auf meine soziale Kompetenz und das Bauchgefühl verlassend, hab ich getan, was ich konnte. Zuhören, ernst nehmen, nicht beschwichtigen, Empathie zeigen, Ich-Botschaften senden, was macht das mit mir, Bilder, die beim Zuhören entstanden sind mitteilen etc. pp.

Zu solch elementaren und wirklich schwierigen Situationen gabs nix, GAR NIX!, in der Ausbildung. Ich hab extra nochmal die Unterlagen durchgesehen. Nichts zu Trauerarbeit, nichts zu Sterbebegleitung, geschweige denn irgendwas zu Depression bzw. Altersdepression. Halt, doch, eins: ich kenne die fünf Sterbephasen nach Kübler-Ross. Toll, oder?!

Meine eigene Hilflosigkeit in dieser Situation macht mich so wütend. Ich habe zwar hinterher positive Rückmeldung von den Betroffenen bekommen - aber das kanns doch nicht sein?! Es gibt ja das berühmte Wort vom "Wer plegt, muss sich pflegen" - aber doch sicher nicht in einem Internetforum oder bei der Familie am Abendbrotstisch?!

Also, wie seid ihr mit der Praxisnähe und Qualität eurer Ausbildung zufrieden?

Sorry für den langen Text...

:-)

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24 Okt. 2012 09:37 #12270 von Jana
Hallo Natreen,

ich kenne die von dir beschriebenen Situationen gut, erlebe sie auch oft in der Praxis. Ich selbst bin Ergotherapeutin in einem relativ großen Pflegeheim (6 Wohnbereiche, 9 Alltagsbegleiter) und wir haben natürlich immer mal wieder Praktikanten, Vorstellungsgespräche, Alltagsbegleiter zum Probearbeiten usw. Das mitgebrachte Wissen variier sehr stark je nach Anbieter und Dauer der Ausbildung. Eine 3 - monatige Ausbildung bei der noch 4 Wochen Praktikum enthalten sind...da frag ich mich, was lernen die zukünftigen Alltagsbegleiter in der kurzen Zeit??? So wie ich dich verstanden habe, nicht unbedingt das, was man in der täglichen Arbeit benötigt. Ich versuche immer, die Alltagsbegleiter in Fallbesprechungen und Besprechungen intern weiterzubilden, um die Qualität der Arbeit zu steigern, aber auch die neuen Kollegen "fit" zu machen,  für die Ansprüche, die wir im Haus an Alltagsbegleiter haben. Das ist nicht immer leicht. Wenn ich dir irgendwie helfen kann oder du noch Fragen hast, kannst du dich gern melden.

Liebe Grüße.
Jana

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24 Okt. 2012 21:27 #12271 von natreen
Hallo Jana,

vielen Dank für Deine Antwort.  :)

Ich glaube, meine "Probleme" sind für eine Hilfe via Internet/Forum wohl zu komplex. Konkret geht es mir einerseits um den Umgang mit (Alters)Depression (Resignation, Todeswunsch, Apathie, zwanghaftem Grübeln, Sinnsuche, Angst) und andererseits um Trauerbegleitung.

Klar ist, denke ich, dass Sätze wie "Das wird schon wieder!" das dämlichste sind, was ein alter Mensch in dieser Situation zu hören bekommen kann. Nämlich gar nichts "wird schon wieder". Der geistige und körperliche Abbau ist nicht aufzuhalten - und das weiss der alte Mensch.

Und ist es wirklich ein Trost, wenn in Bezug auf eine Todessehnsucht der Mensch nur ein "Alles hat seine Zeit. Jedes Ding hat seine Stunde unter dem Himmel." zur Antwort bekommt?
Wie gehe ich mit solch einem Menschen um? Reinziehen auf Teufel komm raus in die Beschäftigungen, um ihn "abzulenken"? Oder in Ruhe und ihn allein lassen mit seinen "grauen" Gedanken?

"Kommt drauf an!" wird wohl die naheliegendste Antwort sein. Aber das genügt mir nicht. Ich will wissen, worauf es ankommt: bei welchen Anzeichen (und wie erkenne ich die?) es auf was ankommt.

Wie kann ich die Angst vorm Sterben, wenn schon nicht wegnehmen, dann doch wenigstens lindern?

Ich hab schon nach lokalen Hospizfortbildungen gegoogelt, aber leider nichts passendes gefunden, ich kann z.B. keine zwei Wochen Vollzeitkurs belegen oder bei einem kirchlichen Träger eine Weiterbildung machen, wenn das Konzept "Gott/Jesus/Erlösung" für mich keine Wirklichkeit ist.

Das beschäftigt mich momentan, ausgelöst durch die gestrigen ereignisse total. Meine Güte, nie hätte ich gedacht, dass dieses Thema mal so nah an mich herantreten wird... Und genau das betrifft noch einen Punkt: Distanz bewahren! Bis dato habe ich es hervorragend geschafft, das berufliche nicht mit nach hause zu nehmen. Ich erzähle absichtlich nichts am Abendbrotstisch von der Arbeit. Bis jetzt hat das geklappt... Vielleicht hat das Geschehen gestern eine Saite in mir zum klingen gebracht, die mich sehr verunsichert.

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24 Okt. 2012 23:31 #12272 von Jana
Hallo,

was du beschreibst ist natürlich ein sehr komplexes und emotionales Thema, was Mitarbeiter oft auch an die eigenen Grenzen bringt, weil man sich automatisch mit der eigenen Endlichkeit beschäftigen muss. Sterben, Sterbebegleitung, Tod und Trauerrituale aber auch diesbezüglich der Umgang mit Angehörigen sind leider nur selten Ausbildungsinhalt - nicht nur bei Alltagsbegleitern, sondern auch bei Ergotherapeuten oder selbst Altenpflegern. Mich hat das Thema immer sehr interessiert, sodasss meine Diplomarbeit auch in die Richtung ging. Wenn du möchtest, schaue ich morgen mal in Ruhe nach geeigneten Buchtiteln. Vielleicht hilft dir das weiter?!
Bei uns bieten die Malteser eine Hospizbegleiterausbildung an, die ein Jahr dauert (einmal wöchentlich einen Abendveranstaltung, Praktikumsphase, Supervision und ab und an Wochenendveranstaltung zur Reflektion usw.). Vielleicht gibt es so etwas auch in deiner Nähe? Ich habe die Hospizbegleiterausbildung auch gemacht (allerdings nicht bei den Maltesern) und kann es nur empfehlen. Es regt sehr zum Nach - und Umdenken an.
Nur nicht verzweifeln - ich glaube, du bist auf einem guten Weg! Schon alleine deshalb, weil du dir so viele und tiefgründige Gedanken machst.  :)

Gute Nacht!
Jana

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25 Okt. 2012 19:03 #12276 von Phaethon
Hallo natreen,
erst mal allgemein: Die Qualifizierung als BA 87b ist eben keine Ausbildung, sondern "nur" eine Qualifizierung.
Ich habe "nur" diese Grundausbildung erhalten, mich allerdings im Anschluß daran (ich war dann noch 2 Monate arbeitslos) durch ca. 1 m Fachliteratur gewühlt.
Meine theoretische "Ausbildung" war daraufhin nicht schlecht.
Die praktische bestand in 1 Woche Orientierungspraktikum und 2 Wochen Praktikum zwischen den Theorieblöcken.
Das war schon gut, weil die Erfahrungen im Praktikum dann in der Schule aufgearbeitet wurden.
Die Qualität steht und fällt mit den Dozenten, ich hatte größtenteils Glück, wir wurden recht gut vorbereitet.
Aber natürlich kommt man sehr sehr schnell erst mal an Situationen die einen überfordern. Man erwartet sehr viel von sich und kann dies nicht alles leisten.

Und zu deiner aktuellen Geschiche, das ist ein Problem und wird es immer bleiben. Es gibt bei uns so einige Pflegekräfte, die mit dem Thema Tod überhaupt nicht umgehen können. Das lernt man wohl nirgendwo.
Validation ist letztlich auch hier angebracht. Das Verstehen, das Akzeptieren des Wunschs nach dem Sterben, nach dem Tod, das hilft manchmal schon durchaus weiter. Das ist meine Erfahrung mit vor allem einer BW, die diesen Wunsch häufig äußert (ohne depressiv zu sein). Bei depressiven BW ist es vielleicht hilfreicher über das Leben überhaupt zu sprechen, vielleicht können sie dann auch positives erinnern. Trauerarbeit mit BW zu leisten ist wahrlich heftig und man wird nicht nur nicht vorbereitet, es gibt ja für uns auch keine Supervision, was ich durchaus angebracht fände.
Authentisch bleiben ist für mich auch an der Stelle das Wichtigste. Dazu gehört aber auch viel Vertrauen, also dass man seine eigenen Mankos auch zugeben kann.
Das solls erst mal gewesen sein
Lieben Gruß
Phaethon

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04 Nov. 2012 22:31 #12294 von Juliane-leon
Juliane-leon antwortete auf Qualität meiner (unserer) 87b - Ausbildung
Hallo Natreen,
ich habe ähnliche Erfahrungen wie du und Phaethon gemacht.

Der Bildungsträger hatte meine Weiterbildung wohl eben erst konzipiert, als diese im Frühjahr 2009 begann. Von Inhalt keine Spur, weder theroretisch noch praktisch. Aber damals war es die einzige Möglichkeit, "Demenz-Spezialistin" zu werden ohne eine mehrjährige Ausbildung, z.B. zur Pflegekraft oder Ergotherapeutin ;-) zu machen. Ich war Anfang 40, hatte schon studiert, diverse Ausbildungen absolviert und jede Menge Berufserfahrung im kaufm. Bereich. So habe ich angefangen alles über Demenz zu lesen, was ich kriegen konnte.

In der betreffenden Praktikums-Einrichtung gab es zwar eine Pflegekraft für die Aktivierung. Doch vom Umgang mit Menschen mit Demenz hatte sie aus meiner Sicht keine Ahnung und nach einem halben Jahr stand ich ganz allein da mit der sozialen Betreuung. Auf dem vollstationären Wohnbereich hatte ich viel Gestaltungsspielraum und habe ich Vieles ausprobiert von dem Gelesenen. Vor allem jedoch habe ich versucht, gut zu beobachten, wie meine "Interventionen" bei den Bewohnerinnen ankommen und wahrzunehmen, ob sie ihnen Spaß machen, ob sie sich verstanden und angenommen fühlen in unserem Kontakt, wie ich mich verhalte, wo ich Grenzen setzen muss, welche Bewohnerinnenverhaltensweisen schwierig für mich sind.

Vieles hat nicht funktioniert, von dem ich eine tolle Vorstellung hatte oder es war bei anderen, zu einem anderen Zeitpunkt hilfreich, bereichernd.

Ich hatte das Glück, hilfbereite Kolleginnen in der Tagespflege zu haben, mit denen ich mich oft ausgetauscht und mir Anregungen geholt habe. Gibt's Kolleg/innen bei dir, mit denen du das teilen könntest?

Was ich viel wichtiger finde als das ganze formale Fachwissen, ist Talent, also die Gabe, etwas mit Leib und Seele zu machen. Die niederländische Pflegewissenschaftlerin Cora van der Kooij spricht/schreibt vom Pflegetalent. Ich denke, dass lässt sich auf die soziale Betreuung von Menschen mit Demenz übertragen. Sie hat in ihrem mäeutischem Pflegekonzept die Methode des "Suchend Reagierens" entwickelt.

Sich in einem Hospiz-Kurs dem Thema Tod und Sterben zu nähern, finde ich eine gute Idee. Wichtig ist aus meiner Sicht auch, sich selbst Gedanken zu machen, Gefühle zu reflektieren, was z.B. die eigene Endlichkeit für einen bedeutet oder das Altern - das fängt ja nicht erst mit 80 an. Kann man sich vielleicht darauf vorbereiten? Wenn ja, wie? Ich frage das manchmal die Bewohnerinnen. Fast alle haben geglaubt, alt sind die anderen.

Schöpfe bei deiner Arbeit aus deiner persönlichen Lebenserfahrung (Ist schon einmal jemand dir Nahes gestorben? Wie war das für dich? Welche Ängste hast du in Bezug darauf, an Demenz oder Depression zu erkranken oder eingeschränkt und abhängig von anderen zu sein? Was lösen die Bewohnerinnen - unbewusst - bei dir aus)!

Ich versuche oft heraus zu finden, was bzw. wer die Bewohnerinnen gestärkt hat, wenn sie früher in Lebenskrisen waren (z.B. Religiosität, Spiritualität, sich Versorgen/Bemuttern  lassen, Musik/Singen) und das zu stärken. Obwohl ich nicht christlich bin, habe ich mit vielen über Vertrauen in Gott gesprochen und christliche Lieder gelernt, um diese gemeinsam singen zu können. Z.B. "So nimm denn meine Hände". Ein viel eingesetztes Mittel ist für mich ein Gedichtband von Hermann Hesse. In seinen Gedichten geht's oft um die großen Sinnfragen, z.B. in "Glück".

Die Bewohnerinnen haben sich bei dir bedankt. Dann scheint es, dass es Ihnen möglicherweise gut getan hat, in deinem Beisein zu weinen, ihre Traurigkeit zu äußern. Vielleicht war es wichtigfür sie, dass sie sich von dir darin angenommen fühlten.

Was spricht eigentlich dagegen, dieses Forum zum Austausch zu nutzen. Ich dachte, dafür sei es da.

Juliane

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