Hallo Natreen,
ich habe ähnliche Erfahrungen wie du und Phaethon gemacht.
Der Bildungsträger hatte meine Weiterbildung wohl eben erst konzipiert, als diese im Frühjahr 2009 begann. Von Inhalt keine Spur, weder theroretisch noch praktisch. Aber damals war es die einzige Möglichkeit, "Demenz-Spezialistin" zu werden ohne eine mehrjährige Ausbildung, z.B. zur Pflegekraft oder Ergotherapeutin
zu machen. Ich war Anfang 40, hatte schon studiert, diverse Ausbildungen absolviert und jede Menge Berufserfahrung im kaufm. Bereich. So habe ich angefangen alles über Demenz zu lesen, was ich kriegen konnte.
In der betreffenden Praktikums-Einrichtung gab es zwar eine Pflegekraft für die Aktivierung. Doch vom Umgang mit Menschen mit Demenz hatte sie aus meiner Sicht keine Ahnung und nach einem halben Jahr stand ich ganz allein da mit der sozialen Betreuung. Auf dem vollstationären Wohnbereich hatte ich viel Gestaltungsspielraum und habe ich Vieles ausprobiert von dem Gelesenen. Vor allem jedoch habe ich versucht, gut zu beobachten, wie meine "Interventionen" bei den Bewohnerinnen ankommen und wahrzunehmen, ob sie ihnen Spaß machen, ob sie sich verstanden und angenommen fühlen in unserem Kontakt, wie ich mich verhalte, wo ich Grenzen setzen muss, welche Bewohnerinnenverhaltensweisen schwierig für mich sind.
Vieles hat nicht funktioniert, von dem ich eine tolle Vorstellung hatte oder es war bei anderen, zu einem anderen Zeitpunkt hilfreich, bereichernd.
Ich hatte das Glück, hilfbereite Kolleginnen in der Tagespflege zu haben, mit denen ich mich oft ausgetauscht und mir Anregungen geholt habe. Gibt's Kolleg/innen bei dir, mit denen du das teilen könntest?
Was ich viel wichtiger finde als das ganze formale Fachwissen, ist Talent, also die Gabe, etwas mit Leib und Seele zu machen. Die niederländische Pflegewissenschaftlerin Cora van der Kooij spricht/schreibt vom Pflegetalent. Ich denke, dass lässt sich auf die soziale Betreuung von Menschen mit Demenz übertragen. Sie hat in ihrem mäeutischem Pflegekonzept die Methode des "Suchend Reagierens" entwickelt.
Sich in einem Hospiz-Kurs dem Thema Tod und Sterben zu nähern, finde ich eine gute Idee. Wichtig ist aus meiner Sicht auch, sich selbst Gedanken zu machen, Gefühle zu reflektieren, was z.B. die eigene Endlichkeit für einen bedeutet oder das Altern - das fängt ja nicht erst mit 80 an. Kann man sich vielleicht darauf vorbereiten? Wenn ja, wie? Ich frage das manchmal die Bewohnerinnen. Fast alle haben geglaubt, alt sind die anderen.
Schöpfe bei deiner Arbeit aus deiner persönlichen Lebenserfahrung (Ist schon einmal jemand dir Nahes gestorben? Wie war das für dich? Welche Ängste hast du in Bezug darauf, an Demenz oder Depression zu erkranken oder eingeschränkt und abhängig von anderen zu sein? Was lösen die Bewohnerinnen - unbewusst - bei dir aus)!
Ich versuche oft heraus zu finden, was bzw. wer die Bewohnerinnen gestärkt hat, wenn sie früher in Lebenskrisen waren (z.B. Religiosität, Spiritualität, sich Versorgen/Bemuttern lassen, Musik/Singen) und das zu stärken. Obwohl ich nicht christlich bin, habe ich mit vielen über Vertrauen in Gott gesprochen und christliche Lieder gelernt, um diese gemeinsam singen zu können. Z.B. "So nimm denn meine Hände". Ein viel eingesetztes Mittel ist für mich ein Gedichtband von Hermann Hesse. In seinen Gedichten geht's oft um die großen Sinnfragen, z.B. in "Glück".
Die Bewohnerinnen haben sich bei dir bedankt. Dann scheint es, dass es Ihnen möglicherweise gut getan hat, in deinem Beisein zu weinen, ihre Traurigkeit zu äußern. Vielleicht war es wichtigfür sie, dass sie sich von dir darin angenommen fühlten.
Was spricht eigentlich dagegen, dieses Forum zum Austausch zu nutzen. Ich dachte, dafür sei es da.
Juliane