Ich finde dieses Fallbeispiel hochgradig interessant, einige Gedanken, die mir dazu einfallen habe ich zwischen die originalen Aussagen gesetzt!
Hallöchen,
ich habe eine neue Patientin. Alzheimer-Demenz als Diagnose. Ich habe einen Hausbesuch gemacht. Die Frau ist frisch 80 geworden und lebt mit ihrem Mann und ihrem ältesten Sohn in einer Mietswohnung.
So.
Der Ehemann sprudelt immer los, wenn ich da bin und erzählt ohne Luft zu holen von den vielen Problemen im Alltag.
Wunderbar, dass Sie ihm zuhören. Therapie mit Menschen mit Demenz umfasst immer auch die Angehörigenarbeit, die im Sinne einer salutogenetischen Perspektive Präventionscharakter hat.
Er ist mit der Übernahme der vielen Hausarbeiten und ihrer Betreuung eigentlich überfordert und permanent gestresst.
Beim COPM wurde deutlich: es gibt keinen alltaglichen Handlungsbereich, der nicht beeinträchtigt ist.
Nun sprech ich mit der Frau, die eigentliche Patientin. Im Gespräch wird deutlich:
- ihr Kurzzeitgedächtnis ist stark beeinträchtigt, sie ist mitßtrauisch und bringt beim 3. Mal erzählen die Geschichten auch schön durcheinander.
Hier beschreiben Sie sehr gut die kognitiven Beeinträchtigungen der neurologischen Erkrankung zu Beginn.
- SIE selbst sieht keinen Probleme!!
Stellen Sie sich vor, Sie erhalten vom Arzt die Diagnose einer „schlimmen“ Krankheit? Wie würden Sie sich verhalten? Die Annahme einer schwerwiegenden Diagnose ist prozesshaft, ein Verleugnen gehört zu diesem Prozess.
Standard-Satz "ich mache im Haushalt alles noch alleine - und wenn ich was mal nicht weiß, dann frag ich meinen Mann, aber sonst mach ich alles noch alleine!"
Hier zeigt Ihnen die Klientin einen wunderbaren ressourcenorientierten Lösungsansatz auf. Sie braucht ( zur Zeit) nur punktuell Unterstützung. Sie braucht die Betätigung als selbstwertfördernde Aktion.Und dabei ist eine mißtrauische und leicht aggressive Stimmung im Raum, so nach dem Motto "Und wehe jemand behauptet was anderes".
Auch diese Stimmung ist verstehbar. Sie ist umgeben von Angehörigen, die ihr ständig mitteilen, was sie alles nicht mehr kann. Mich würde solche defizitäre Sicht auch sehr wütend machen. (Wütend wäre ich übrigens auch, dass ich an mir beobachte, dass es nicht mehr klappt mit den jahrzehntelang ausgeführten praktischen Tätigkeiten…ich wäre wütend auf die Tatsache, dass ich dement bin!)
So. Jetzt sitz ich also mit einer noch relativ fitten und beweglichen Demenz-Patientin am Ort des Geschehens - in ihrem Zuhause - und kann nichts machen!! Ich komme mir ganz doof vor. Sie selbst hat also keine Ziele, keinerlei Verbesserungswünsche.
Sie hat ein Ziel formuliert: Solange wie möglich im Haushalt aktiv sein! Bei Bedarf Unterstützung, um im Haushalt tätig zu sein!
Sie erzählt nur unheimlich viel wenn ich da bin (vermutlich, weil sie bei ihrem "dominanten" Mann sonst nie zu Wort kommt).
Gleichzeitig (weil sie schon so ein schönes eingespieltes Team sind) erledigt der Mann alles möglich schon vorher. Meine Bitten einfache Hausarbeiten für die Therapie liegen zu lassen, kann er irgendwie nicht nachkommen - ich denk es ist im unangenehm und peinlich.
Vielleicht ist noch ein Einkauf zu erledigen?
Wäsche zu bügeln?
Mal den Küchenschrank auszuwischen?
Ein Essen vorzubereiten?
Momentan seh ich mich so als Entlastung für ihn, dass er 2Mal die Woche ne Stunde Pause hat. Ich versuche ihm Tipps zu geben wie er mit manchen Situationen besser umgehen kann (wenn er anwesend ist)... Aber irgendwie mach mich das unzufrieden und ich steh etwas auf dem Schlauch...
Jetzt also zum Kern des Ganzen: Kann ich irgendwie (und ist es sinnvoll) mit der Klientin Problemeinsicht'/Krankheitseiinsicht zu erarbeiten???
Die Fähigkeit Einsicht in die Krankheit Demenz zu erlangen stellt für die Klientin im Moment eine Überforderung dar. Zukünftig ist dies auch keine Ressource, da ihr die kognitiven Fähigkeiten dafür zunehmend fehlen werden.
Die Fähigkeit sich zu bewegen, Stimmungen emotional zum Ausdruck zu bringen und die Vertrautheit haushaltspraktischer Tätigkeiten stellen wesentliche Ressourcen ihrer Klientin dar.
Ziel sollte also nicht sein, dass Sie Einsicht in eine schwerwiegende Erkrankung erhält sondern, dass Sie sie in der Durchführung haushaltspraktischer Tätigkeiten unterstützen. In der Durchführung dieser vertrauten Handlungen erfährt sie, was sie noch kann, nicht was sie nicht mehr kann. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und gibt ihr Rückhalt bei der Bewältigung der Phänomene der Demenz.