Wer kennt es nicht: Ganz unverhofft nehmen wir einen längst vergessenen Duft wahr und tief verborgene Bilder treten zutage. Das geht Menschen mit Demenz nicht anders. Mit der Unterstützung duftender, ätherischer Öle schickst Du sie auf kleine Erinnerungsreisen. Dieser Leitfaden für Ergotherapie und Betreuung zeigt dir die ersten Schritte.
Ätherische Öle und unser Geruchssinn
Der Geruchssinn, unser ältester Sinn, ist mit dem limbischen System verbunden - dem Ort im Gehirn, wo Emotionen verarbeitet werden und Erinnerungen gespeichert sind. Als Anker unserer Biografie holen Düfte noch nach Jahrzehnten verborgene Bilder und Gefühle hervor. Ätherische Öle sind Duftstoffe von Pflanzen. Sie wirken über den Geruchssinn auf geistig-seelischer Ebene, sodass das Einatmen des Duftes unser Befinden positiv beeinflussen kann. Gerüche können nicht nur positive Gefühle hervorholen. Ein achtsamer Umgang mit den ätherischen Ölen ist daher sehr wichtig. Im Gespräch mit dem Menschen über seine Biografie erfährst Du, welche Düfte eine Rolle in seiner Vergangenheit gespielt haben. Das Riechvermögen vieler Menschen geht im Alter teilweise oder ganz verloren. Manche Menschen mit Alzheimer-Demenz sind von Geruchsblindheit betroffen. Das gilt es im Vorfeld abzuklären.
Einsatzmöglichkeiten ätherischer Öle bei Menschen mit Demenz
Die Beschäftigung mit Düften fördert nicht nur den Geruchssinn und das Langzeitgedächtnis, sondern auch die Konzentration und Kommunikation. Die duftenden Öle kannst Du auf vielfältige Weise einsetzen - hier die aus meiner Erfahrung besten Varianten:
Düfte erraten
Eine Auswahl ätherischer Öle, beispielsweise Zitrone, Orange, Grapefruit, Fichtennadel, Lavendel, Rosengeranie, Vanille, Zimt, träufelst DU sparsam auf Wattebällchen und legst sie in kleine Weck-Gläschen oder Filmdosen. Dann lässt Du ein Behältnis in der Gruppe herumgehen. Fragen wie „Woran erinnert Sie der Duft?“, „Woran denken Sie bei diesem Duft?“ regen zum Erzählen an. Oft berichten die Menschen von ganz allein und ein reger Austausch entsteht.
Duftmemory
Hierfür benötigst Du verschiedene ätherische Öle und eine entsprechend doppelte Anzahl Weck-Gläschen oder Filmdosen. Die einzelnen Öle träufelst Du sparsam auf jeweils zwei Wattebällchen und legst sie je Duft in zwei Behältnisse. Die Düfte kannst Du auf der Unterseite der Behältnisse paarweise nummerieren. In die Deckel bohrst Du kleine Löcher. Der Teilnehmer soll nun die jeweiligen Düfte erraten und paarweise zuordnen. Auch diese Übung kannst Du gut mit anschließender Erinnerungsarbeit verbinden.
Nicht übertreiben!
Achtung! Einige Menschen mit Demenz fühlen sich durch die Anwendung mehrerer Düfte parallel reizüberflutet und reagieren wohlmöglich mit Rückzug.
Düfte malen
Jedem Bewohner gibst Du Malpapier mit Buntstiften oder anderen Farben. Dann stellst Du ein paar ätherische Öle zur Auswahl und jeder Teilnehmer sucht sich seinen Lieblingsduft aus, von dem Du dann ein bis zwei Tropfen auf ein Taschentuch oder Wattepad träufelst. Nachdem jeder genussvoll an seinem Duft gerochen hat, soll dieser nun gemalt werden – ganz intuitiv, nach Lust und Laune. Anschließend kann jeder erzählen, woran sie ihr Lieblingsduft erinnert und seine Bilder präsentieren.
Duftgeschichten
Für Senioren gibt es eine große Auswahl an Vorlesegeschichten. Manche davon kannst Du prima mit ätherischen Ölen ergänzen. Geht es in der Geschichte um eine Wanderung im Wald oder das Backen eines Zitronenkuchens, so kannst Du das passende Öl in die Runde reichen oder als Raumduft anwenden. Das macht das Vorlesen einer Geschichte zu einem anregenden Erlebnis.
Buch "Aromapflege"
10-Minuten-Aktivierung
Düfte eigenen sich hervorragend für die Aktivierung zwischendurch. Bei Menschen mit einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne, kannst Du die Übung „Düfte erraten“ auf einen Duft beschränken, um darüber eine kurze Erinnerungsreise anzuregen. Mit Bildern oder einem Geschmackserlebnis kannst Du eine solche Aktivierung noch bereichern. Zum Beispiel: Das ätherische Öl der Orange kombinierst Du mit einem Bild eines Orangenbaumes und bietest dazu eine frische Orange an. Gerade im fortgeschrittenen Stadium der Demenz oder bei bettlägerigen Menschen kannst Du über das Riechen und Schmecken die Kommunikation und Körperwahrnehmung im Sinne der Basalen Stimulation fördern.
Raumbeduftung
Die Raumbeduftung ist eine Möglichkeit den Senioren im Alltagsgeschehen eine wohlige Atmosphäre zu schaffen und auf ihr Befinden positiv einzuwirken. Dabei ist es wichtig um die unterschiedlichsten Wirkungen der ätherischen Öle zu wissen. Auf Duftlampen oder –brunnen solltest Du (wegen Trinkgefahr) vorsichtshalber verzichten. Aromavernebler für größere, und Duftsteine für kleine Räume oder auf dem Nachtschränkchen sind die sicheren Alternativen. Einzelne Düfte wie Lavendel, Orange oder Zeder sind sehr beliebt, aber auch Aromaöl-Mischungen zum Entspannen oder Konzentrieren eignen sich gut.
Beliebte Düfte und was sie bewirken
Ob ein Duft gemocht wird, welche Erinnerungen er hervorruft, ist so individuell, wie der Mensch selbst. Einige Düfte erfreuen sich besonderer Beliebtheit - hier eine kleine Auswahl:
Ätherisches Öl | Duft, Wirkung und häufige Assoziationen |
---|---|
Bergamotte |
|
Fichtennadel, sibirisch |
|
Lavendel fein |
|
Melisse |
|
Orange |
|
Rose |
|
Rosengeranie |
|
Vanilleextrakt |
|
Weihrauch, arabisch |
|
Zeder |
|
Zitrone |
|
Merkmale hochwertiger ätherischer Öle
Wo erhalte ich hochwertige Öle?
Einige Apotheken und Biomärkte führen hochwertige ätherische Öle in ihrem Sortiment.
Wichtigstes Merkmal ist die Bezeichnung „100 % naturrein“. Öle mit dem Hinweis „naturidentisch“, sind nicht geeignet. Die Ursprungspflanze stammt aus kontrolliert-biologischem Anbau (kbA) oder ist in Demeter-zertifizierter Bioqualität. So finden sich im ätherischen Öl keine Pestizide oder chemischen Düngemittel wieder. Herkunftsland und der lateinische Name der Pflanze sollten auf dem Etikett stehen. Achtung: Düfte wie Flieder, Lotus, Maiglöckchen, Veilchen, Freesie, Apfel-, Kirsch- und Pfirsichblüte sind nicht als ätherische Öle zu gewinnen.
Workshops, Seminare, Weiterbildungen
Für eine fundierte Anwendung der Öle kannst Du sorgen, indem Du an Workshops, Seminaren oder einer umfangreicheren Aromaausbildung teilnimmst. Hier ein paar Anlaufstellen:
- Primavera Life Akademie
- Neumond Seminarprogramm
- Bahnhof-Apotheke Kempten
- Taoasis Akademie der Düfte
- Farfalla Akademie (Schweiz)
- Aromaexperten Ausbildungszentrum (Österreich)
Fazit
Die Welt der ätherischen Öle ist groß und voller Möglichkeiten. Mit Düften kannst Du den oft einförmigen Alltag der Bewohner aufbrechen und positive Gefühle hervorzaubern. Bei der Vielfalt der Öle und ihren Wirkungsweisen ist ein behutsamer Umgang unerlässlich. Viele weitere Anregungen findest Du in Stefan Theierls Buch "Aromapflege". Hierzu eignen sich entsprechende Seminare und Ausbildungen. Die folgenden Buchtipps dienen dir als Begleiter durch die Duftwelt. Viel Freude!
Buchtipps
- Birgit Ebbert, Steffi Klöpper (2016): Duftgeschichten für Senioren: Mit Anregungen und Rezepten aus der Aromapflege. Verlag an der Ruhr. ISBN-13: 978-3834630834.
- Steffi Klöpper (2014): Basiswissen Ätherische Öle in der Aromapflege: Karten-Set mit Anwendungstipps und Aktivierungsideen für die Pflegepraxis. Verlag an der Ruhr. ISBN-13: 978-3834623850.
- Stefan Theierl (2014): Aromapflege. hospiz-Verl. (Palliative Care für Einsteiger, 2). ISBN-13: 978-3941251793. Unsere Rezension findest du hier.
- Katharina Zeh (2005): Handbuch Ätherische Öle. 70 Portraits der gebräuchlichsten Duftöle für die Hausapotheke und Wellness-Anwendungen. Joy-Verlag. ISBN-13: 978-3928554503.
- Fred und Ingrid Wollner (2010): Der neue Duftführer. Primavera Verlag. ISBN-13: 978-3981268805.
Welche Erfahrungen hast Du mit ätherischen Ölen gemacht?
Schreibe gern einen Kommentar, wie Du mit Düften und Ölen arbeitest!
Über die Autorin
Nora Sieweke, geboren 1981 in Hamm/Westfalen, ist seit 2006 staatlich anerkannte Ergotherapeutin. 2009 absolvierte sie das Studium zum Bachelor of Health in Occupational Therapy an der Hogeschool Zuyd in Heerlen/Niederlande. Seit 2012 ist sie zudem Entspannungstherapeutin. Schon in ihrer Bachelorstudie befasste sie sich mit der Bedeutung von Lebensqualität im Alter. Schwerpunktmäßig ist sie in der Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Neurologie tätig, aktuell innerhalb einer ergotherapeutischen Praxis. Neben der Arbeit als Ergotherapeutin ist Nora Sieweke seit einigen Jahren freie Redakteurin der Fachzeitschrift „ergopraxis“. Derzeit bildet sie sich im Rahmen der FrauenStudien an der Universität Bielefeld in der personenzentrierten Beratung nach Carl Rogers weiter.