Lackieren, Schrauben, Teile wechseln - für Männer mit Demenz ein ideales Beschäftigungsangebot. Und am Ende läuft der alte Hanomag-Traktor wieder! Wie lässt sich ein so komplexes Projekt erfolgreich umsetzen? Das verraten die Macher im Interview und geben wertvolle Tipps.
"Der schönste Moment war die erste Ausfahrt"
Über ein Jahr haben Bewohner, Oltimerfreunde, und Heimpersonal zusammen geschuftet. Beim Arbeiten, Beraten und Feiern sind sie sich näher gekommen. Eine Kamera hat dieses außergewöhnliche Beschäftigungsprojekt begleitet. Willi Brich und Nadja Stiels - Mitarbeiter im Katharinenheim Bad Endorf im Landkreis Rosenheim - erzählen im Interview über die Restaurierung eines Traktors mit demenzkranken Bewohnern.
Wie kam die Idee für das Bulldog-Projekt?
Rosemarie Bleil schlug das Projekt vor! Sie ist freischaffende Sozialmanagerin und hatte bereits ein ähnliches Projekt in Rosenheim durchgeführt. Neu war, dass uns die Kamera auf Schritt und Tritt begleiten sollte.
Welches Ziel haben Sie verfolgt?
Ziel des Projektes war, eine Brücke zwischen Vereinen vor Ort und unseren Bewohnern zu schaffen und insbesondere den Männern eine sinnvolle Beschäftigung im Alltag anzubieten. Mal wieder einen Schraubenschlüssel in die Hand nehmen, ein Blech lackieren - alles vertraute Tätigkeiten für unsere demenzkranken Männer, die ihre vergrabenen Fähigkeiten wieder freilegen sollten.
Wie und wo gewinnt man Unterstützer für ein solches Projekt?
Rosemarie Bleil ist begeisterter Oldtimerfan und Mitglied bei den Oldtimerfreunden Höslwang. Ihre Geschichten aus dem vorherigen Projekt rissen auch die hiesigen Oldtimerfreunde mit. Die Bürgermeisterin von Bad Endorf wurde Schirmherrin, was die Spendenakquise erleichterte. Die regionale Presse hat regelmäßig berichtet. Ersatzteile, Material und auch manche Arbeitsleistungen organisierten Rosemarie Bleil und die Oldtimerfreunde über ihr Netzwerk von Oldtimerbegeisterten meist sehr günstig oder sogar kostenlos. Auch die Firmen vor Ort konnten wir zu Sach- oder Geldspenden bewegen.
Was muss man bei der Auswahl der Bewohner und der Gruppengröße beachten?
Zum Projektauftakt wurde der zu restaurierende Hanomag gemeinsam mit bereits restaurierten Oldtimern in den Innenhof gefahren, wo sich schnell neugierige Bewohner einfanden. Die ersten Interessenten waren schnell gewonnen, weitere Neugierige bald identifiziert und mit dabei! Natürlich sollten sie auch handwerklich gerne arbeiten. Manche schnupperten nur kurz ins Projekt hinein, andere waren die ganze Zeit dabei. Weitere stießen hinzu, weil die Restaurierung ein ständiges Gesprächsthema im Haus war. Wir haben die Bewohner je nach anstehenden Aufgaben und Tagesform motiviert mitzuarbeiten.
Im Laufe des Projektes zeigte sich, dass eine kontinuierliche Begleitung durch einen oder mehrere Mitarbeiter erforderlich war, da bestimmte Aufgaben oder Bewohner eine 1:1-Betreuung benötigten. Für die Durchführung des Projektes waren die Betreuer des Heims ebenso wichtig wie die hauptbeteiligten Oldtimerfreunde und Heimbewohner.
Welche waren die kritischsten Momente bei der Durchführung, welche die schönsten?
Die gemeinsamen Brotzeiten und Mahlzeiten an den Arbeitstagen gehörten zu den schönsten Momenten. Die allerschönsten Momente für alle waren der erste Startversuch des fertig restaurierten Bulldogs. Und die erste Ausfahrt!
Einige Bewohner haben ihre körperlichen Fähigkeiten aber überschätzt. Sie mussten wir zu regelmäßigen zu Ruhepausen auffordern. Es war nicht immer leicht, die Bewohner aus dem Gefahrenbereich herauszuhalten, wenn sperrige und schwere Teile bewegt wurden.
Haben Sie die Projektziele erreicht?
Das Ziel haben wir erreicht: die Bewohner waren sinnvoll mit Freude und Begeisterung beschäftigt. Außerdem ist der erfolgreich restauriert Bulldog in neuem Glanz erstrahlt.
Nicht zuletzt sind wir alle - Bewohner, Mitarbeiter und Oldtimerfreunde - im Laufe des Jahres zusammengewachsen. Der Austausch zwischen Bewohnern und Oldtimerfreunden war von zentraler Bedeutung: Nach jeder Arbeit bei Brotzeit und Getränken debattierten sie über erledigte und anstehende Aufgaben. Hier konnten die meisten Bewohner aus ihrem reichen Erfahrungsschatz schöpfen und sogar den Oldtimerfreunden noch den einen oder anderen Kniff beibringen. Unser Respekt und Verständnis füreinander ist stetig gewachsen.
Welche Faktoren sind für den Erfolg wesentlich?
Zu den Erfolgsfaktoren gehört vor allem das starke Engagement der Oldtimerfreunde. Aber auch das der beteiligten Mitarbeiter. Denn ohne ihre Terminerinnerungen und Begleitung als vertraute Person wären die Bewohner nicht regelmäßig zu den Treffen gekommen. Das aber erfordert enorm viel Zeit. Willi Brich, der das Projekt hauptsächlich begleitete, opferte pro Woche locker sechs Stunden.
Wichtig war, dass Rosemarie Bleil die ehrenamtlichen Helfer der Oldtimerfreunde zu Beginn über Demenz aufgeklärt hat. Während der Restaurierungsarbeiten half zudem das Personal des Katharinenheims, schwierige Verhaltensweisen zu vermitteln und Fähigkeiten und Kondition der Bewohner einzuschätzen.
Haben Sie ein paar goldene Regeln für unsere Nutzer, die auch einmal ein solches Projekt umsetzen möchten?
Ohne Garantie auf Vollständigkeit geben wir gern ein paar Empfehlungen, die sich bei uns bewährt haben:
- Es ist sinnvoll, im Vorfeld einen zeitlichen Rahmen mit den Ehrenamtlichen zu vereinbaren. Man legt fest, wie viele Stunden in der Woche sie sich engagieren wollen und wie lange der Projektzeitraum dauern soll. Auch Auszeiten für die ehrenamtlichen Helfer gilt es zu berücksichtigen.
- Man sollte sich Zwischenziele setzen, die es zu erreichen gilt. Wenn etwa alle Teile lackiert sind, verleiht ein kleines Grillfest dem Projekt neuen Schwung und steigert die Motivation von Bewohnern, Ehrenamtlichen und Mitarbeitern.
- Der monatliche in der regionalen Presse angekündigte "Tag der offenen Werkstatt" hilft, zusätzliche Interessenten und Unterstützer zu gewinnen. Spender können den Fortschritt des Projektes begutachten und sich vom sinnvollen Einsatz der Spende überzeugen.
- Für den Zeitraum des Projektes muss ausreichend Personal für die Begleitung und für die Organisation im Hintergrund eingeplant werden.
- Bei der Planung des Projektes müssen klare Vertretungsregelunge getroffen werden, falls begleitende Mitarbeiter wegen Urlaub oder Krankheit nicht teilnehmen können. Eine Übergabe an die vertretenden Mitarbeiter ist erforderlich.
- Bei einem Projekt über mehrere Monate ist mit Fluktuation zu rechnen: Bewohner scheiden aus wegen Verschlechterung des Allgemeinzustandes, auch könnte jemand versterben. Andererseits könnten sich neue Bewohner im Projekt engagieren wollen.
Haben Sie weitere Projekte am Laufen?
Derzeit bauen unsere Bewohnern gemeinsam mit dem 1. Seifenkistenclub Schwabering eine Seifenkiste. Neben unseren Senioren auch einige Kinder vom Seifenkistenclub beteiligt!
DVD zum Projekt: Vom alten Eisen - An Demenz erkrankte Männer restaurieren rostigen Traktor. Semnos Verlag, 24,90 €.