Für fast alle Mitarbeiter in Alten- und Pflegeeinrichtungen lohnt sich die Lektüre dieses Buchs - nicht nur für die Begleitung Angehöriger in Hospiz oder auf der Palliativstation. Denn Autor Rainer Teufel zeigt in seinem Buch „Beratung und Begleitung Angehöriger in der Palliative Care“ sehr praxisnah, wie Du Angehörige besser verstehst, begleitest und nutzt - statt sie als Hindernis zu erleben.
Fundiert, aber ohne trockene Theorie
Im dritten Band der Reihe „Palliative Care für Einsteiger“ gibt Rainer Teufel in seinem Buch „Beratung und Begleitung Angehöriger in der Palliative Care“ einen Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der Angehörigenarbeit. Neben seiner jahrelangen Praxiserfahrung auf der Palliativstation als Gesundheits- und Krankenpfleger greift Rainer Teufel auf umfangreiches theoretisches Wissen zurück. Im Rahmen seines Studiums der Gesundheits- und Pflegepädagogik hat er sich in seiner Bachelorarbeit mit der Beratung und Begleitung von Angehörigen beschäftigt und erhielt dafür im Jahr 2012 den Förderpreis der Stadtmission Nürnberg. Dennoch ist das Buch keine trockene theoretische Abhandlung, da Teufel die Grundlagen seines Beratungskonzepts durch Zitate und anschauliche Alltagsbeispiele ergänzt.
Wie Angehörige sich selbst und ihre Grenzen erkennen lernen
Nach einem Vorwort der Herausgeberin Nadine Lexa stellt Teufel sich in Kapitel 1 zunächst selbst kurz vor und erklärt, wie das von ihm entwickelte Beratungsmodell und dieses Buch entstand, auf welche Informationen er zurückgreift.
In Kapitel 2 definiert Teufel die Angehörigen als alle Menschen, die sich „zugehörig“ fühlen und nicht nur die, die in einem verwandtschaftlichen Verhältnis stehen. Er beschreibt, wie eine schwere Erkrankung auch die Gesundheit der Angehörigen gefährdet, da sie häufig an ihre eigenen Leistungsgrenzen und darüber hinausgehen. Teufel zitiert im Buch einen Angehörigen mit dem Satz: „Und wenn ich nicht umfalle, kann es so bleiben.“
Unsere Aufgabe als Begleiter sieht Teufel im Erkennen psychischer, somatischer und sozialer Belastungen der Angehörigen, da wir sie nur dann in der Bewältigung der Krise stärken können und ihm helfen, Coping-Strategien zu entwickeln.
Teufel beschreibt, dass wir im Sinne einer „sokratischen Hebammenkunst“ keine Rat-„Schläge“ erteilen, sondern Angehörigen einen Spiegel vorhalten und in wertschätzender Weise aufzeigen und würdigen, was sie alles leisten und dass es keine Schande ist, zusätzliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Beratung ist immer
In Kapitel 3 geht es dann konkret darum, was man für die Angehörigen tun kann. Teufel definiert den Begriff „Beratung“ und zeigt auf, wie unterschiedlich Beratung durchgeführt wird. Dabei würdigt er vor allem die Beratungsgespräche durch die Berufsgruppe der Pflegenden, die diese selbst oft nicht als solche erkennen, da sie zwischen „Tür und Krankenbett“ durchgeführt werden. Beratung in der Pflege zeichnet sich laut Teufel dadurch aus, dass
- „sie ad hoc passiert,
- sie keinen definierten Zeitrahmen hat,
- die Gestaltung des räumlichen Settings beschränkt ist.“
Erschwerend kommt hinzu, dass man als Außenstehender häufig vor einem „Eisberg“ (stellvertretend für das Familiensystem) steht und beispielsweise Verletzungen in der Biografie, Unausgesprochenes und Tabus im System nicht auf den ersten Blick erkennt. Eine große Herausforderung ist, dass man sich in kurzer Zeit auf Angehörige einstellen muss, da sowohl die Verweildauer der Bewohner im Seniorenheim als auch die der Gäste im Hospiz immer kürzer wird.
„Eine Begleitung der Angehörigen kann nur gelingen, wenn diese nicht als Störfaktor wahrgenommen werden, sondern ihnen muss die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt werden, wie den Betroffenen.“
Wie das System Familie die Balance zurückgewinnen kann
Nachdem Teufel die umsorgende Grundhaltung als Basis der Beziehung erklärt hat, beschreibt er in Kapitel 4 zunächst die ethischen Prinzipien nach Marianne Rabe und kommt in Kapitel 5 auf die Theorie des systemischen Gleichgewichts von Marie-Luise Friedemann zu sprechen. Sehr anschaulich beschreibt er anhand eines Mobiles das Familiensystem. Das ganze Mobile gerät in Bewegung wenn ein Teil des Systems krank wird. Neue Rollen oder andere Aufgaben müssen übernommen werden und alle Familienmitglieder positionieren sich neu. Grafiken und Diagramme, die kurz und präzise erklärt werden, runden den Text ab. Das sicher bereits vielen bekannte Modell der Salutogenese von Antonovsky ist in Kapitel 6 noch einmal Thema und wird mit den Erkenntnissen der vorherigen Kapitel verknüpft. Mithilfe eines fiktiven Beispiels der „Familie Korrekt“, welches sich durch mehrere Kapitel zieht, gelingt es Teufel die theoretischen Grundlagen anschaulich zu verdeutlichen und zu zeigen, worauf es am Lebensende ankommt. Angehörige sollen sich aktiv eingebunden fühlen und wissen, dass sie mit ihren Gefühlen und Gedanken nicht allein sind.
Neben dem aktiven Einbeziehen der Angehörigen (z. B. bei der Mundpflege) ist es wichtig, den Angehörigen Raum und Zeit zu schenken und zu ermutigen, die gemeinsame Zeit zu nutzen und bewusst Abschied zu nehmen, hier kann auch unterstützend ein Seelsorger hinzugeholt werden, da der Glaube eine wichtige Ressource darstellen kann.
Schlussgedanken
Mithilfe der SPIR-Methode kann eine spirituelle Anamnese erstellt werden, um eine zielgerichtete spirituelle Begleitung zu ermöglichen. Eine andere Möglichkeit kann sein, den Angehörigen vorzuschlagen, die Zeit zu nutzen und auszusprechen, was sie dem Sterbenden mit auf dem Weg geben möchten („Schlüsselbotschaften“).
In den letzten drei Kapiteln (Grenzen des Beratungskonzeptes, weitere Aspekten in der Begleitung von Angehörigen, Rahmenbedingungen für eine ganzheitliche Begleitung) greift Teufel einige Aspekte auf, die weiter untersucht und vertieft werden könnten: etwa ob gleichgeschlechtliche Partner eine andere Form der Betreuung bräuchten oder inwieweit Humor für Betroffene und Angehörige ein Ventil sein kann; wer sich in Zukunft solch eine Pflege leisten kann und wer die Pflege in Zukunft leistet, zu der es auch gehört, das Lebensende würdevoll für den Betroffenen und die Angehörigen zu begleiten. Durch die intensive Auseinandersetzung und Konfrontation mit der Endlichkeit lernen wir, laut Teufel, das eigene Leben mehr wertzuschätzen: „Wenn es den Tod nicht gäbe, wüssten wir nicht, wie schön das Leben ist.“
Fazit
Wie bereits die ersten beiden Bände der Reihe kann ich auch dieses sehr empfehlen. Obwohl es ein Fachbuch ist, ist es gut zu lesen. Es ist verständlich, alltagsnah und nachvollziehbar geschrieben, sodass Vieles nach dem Lesen in die tägliche Arbeit einfließen kann.
Teufel, Rainer (2015): Beratung und Begleitung Angehöriger in der Palliative Care. Band 3. Esslingen am Neckar: der hospiz verlag. 114 Seiten. 29,99 Euro, ISBN: 9783941251809
Über die Rezensentin
Jana Küttner ist 30 Jahre alt und seit 2009 Diplom-Ergotherapeutin. Ihre Ausbildung hat sie an der Europa Fachhochschule Fresenius Idstein absolviert und anschließend in Zwickau studiert. Aktuell arbeitet sie in einem Seniorenheim mit über 200 Bewohnern jeweils hälftig als Ergotherapeutin und als koordinierende Palliative-Care-Fachkraft. Zudem ist sie in einem Hospiz tätig.