Mit der neuen Zusatzausbildung zur Fachergotherapeut/in Demenz (DEMERGO) will der Fachkreis Ergotherapie & Demenz Hamburg unter der Leitung von Gudrun Schaade Ergotherapeuten für die Arbeit mit Demenzerkrankten spezialisieren. Los geht es in der Albertinen-Akademie Hamburg im Januar 2013, Anmeldungen sind ab sofort möglich. Wir haben nachgefragt, ob und für wen sich das Angebot lohnt.
Breit gefächerte Weiterbildung für praxiserprobte Ergotherapeuten
Den Bedarf nach einem Zertifikat hat der Fachkreis bereits im Juni 2010 in unserem Forum geäußert und sich die Meinung der EbeDe.net-Nutzer dazu eingeholt. Die Idee fand großen Anklang, um zum Beispiel "Klarheit in den Behandlungsdschungel zu bringen" und "Ergotherapie von der alltäglichen Betreuung abzugrenzen". Nun ist die Zertifizierung "Fachergoterapeut/in Demenz nach Gudrun Schaade" beschlossene Sache. Die Weiterbildung dauert 10 Monate, findet ausschließlich in Präsenzphasen an Wochenenden statt und kostet mit ihren 168 Unterrichtsstunden insgesamt 1.399 Euro. Teilnehmen können examinierten Ergotherapeuten mit mindestens drei Monaten praktischer Erfahrung mit demenziell erkrankten Menschen. Die Inhalte sind breit gefächert: Medizinisches Wissen, ergotherapeutisches Basiswissen, Ziele der ergotherapeutischen Arbeit, Bedürfnisse und Besonderheiten bei einer Demenz und Selbstsorge des Therapeuten. Alle Inhalte und das Dozententeam gehen aus dem Flyer der Weiterbildung hervor.
Nachgefragt
Da wir eingestandenermaßen über einen guten Draht zum Fachkreis und zu Gudrun Schaade verfügen, haben wir uns bemüht, besonders kritisch zu fragen. Die Antworten kommen von Dorothee Danke, Ann-Kathrin Blank, Julia Daut und Gudrun Schaade. Vor allem diese vier haben die Weiterbildung umgesetzt.
Der Arbeitskreis "Ergotherapie & Demenz Hamburg" hat beschlossen, diese Weiterbildung anzubieten. Aus welchen Richtungen kommt eigentlich der Bedarf nach dieser Fortbildung - von Praxisinhabern, Arbeitgebern oder Arbeitnehmern?
Der Bedarf nach einer gezielten Weiterbildung kommt aus verschiedenen Richtungen. Er kommt von Ergotherapeuten, die schon im Beruf stehen, sowohl von Praxisinhabern, als auch von Angestellten. Vor allem aber aus der Nachfrage von Angehörigen und Zugehörigen demenziell erkrankter Menschen auf der Suche nach Ergotherapeuten, die eine fundierte, auf Demenz ausgerichtete Behandlung anbieten können. Auch im professionellen Bereich, bei Beratungsstellen und Ärzten, nimmt der Ruf nach besonders qualifizierten Ergotherapeuten zu. Im Zuge des demografischen Wandels sehen sich Praxisinhaber, die jahrelang mit pädiatrischem Schwerpunkt tätig waren, einem zunehmenden Bedarf demenzkranker Menschen in der Häuslichkeit, in Heimen oder Demenz-WGs gegenüber.
Die Broschüre besagt, dass sich Ergotherapeuten im Arbeitsfeld Demenz hilflos fühlen. Ist das eine Bankrotterklärung für die Examensausbildung? Vermögen auch die ergotherapeutischen Studiengänge in Deutschland nicht, diese Lücke zu schließen?
Es handelt sich natürlich nicht um eine "Bankrotterklärung der Examensausbildung". Diese ist eine fundierte, umfangreiche und ausgesprochen breit gefächerte Ausbildung. Weiter- und Fortbildungen für verschiedene Arbeitsfelder sind unerlässlich, zum Beispiel in den Bereichen Pädiatrie, Psychiatrie, Handchirurgie und eben auch im Bereich Demenz. Das Studium ist ebenfalls sehr breit gefächert angelegt, sodass eine wirkliche Vertiefung der Kenntnisse für die ergotherapeutische Behandlung demenzkranker Menschen nicht erfolgt. Im Einzelfall kann dies in einer Bachelor-Arbeit als Thema bearbeitet werden.
Gudrun Schaade gilt im Bereich Geriatrie der Ergotherapie ohne Zweifel als Wegbereiterin, ihr Buch "Ergotherapie bei Demenz" als Standardwerk. Kritische Stimmen bemängeln indes die fehlende Wissenschaftlichkeit von Schaades Arbeiten, die insbesondere der wichtiger werdenden Evidenzbasiertheit nicht Rechnung tragen. Welchen Wert und welche Bedeutung hat das Etikett "nach Gudrun Schaade" gegenüber entscheidenden Akteuren?
Evidenzbasierte Medizin bedeutet ursprünglich "auf Beweismaterial gestützte Heilbehandlung". Definiert wird evidenzbasierte Medizin als der bewusste, ausdrückliche und wohlüberlegte Gebrauch der jeweils besten Information für Entscheidungen in der Versorgung eines individuellen Patienten. Dieses hat Frau Schaade aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen und der darauf basierenden Schlussfolgerungen innerhalb der letzten 30 Jahre mit hunderten Patienten durchgeführt und ihre Beobachtungen und Analysen in Ihren Schriften aufgezeigt. Bisher ist uns auch kein anderer ergotherapeutischer Ansatz in diesem Bereich bekannt. Frau Schaades Ansatz hat sich über die Grenzen der Bundesrepublik ausgedehnt und ist inzwischen weit bekannt. Wert und Bedeutung dieses "Etiketts" kann nur jeder Einzelne für sich entscheiden. Natürlich braucht evidenzbasierte Praxis Forschungsergebnisse. Alle Studien wie "HEDI" in "FIDEM", "WHEDA" oder "ERGODEM" sind nur auf Stadien leichter bis Anfang mittlerer Demenzerkrankung ausgerichtet. Recherchen zum Beispiel bei "otseeker" ergeben nahezu durchgehend Ergebnisse nur für "mild to moderate" oder "early stage dementia". Frau Schaade - und damit die Weiterbildung - behandelt die ganze Bandbreite der Demenzerkrankung bis hin zum schweren Stadium. Gern würden wir auch mit Forschungsergebnisse im Bereich schwerer Demenz arbeiten, aber leider gibt es diese bisher nicht.
1.400 Euro klingen in der Summe zwar teuer, relativieren sich aber schnell angesichts der für 126 Zeitstunden Fortbildung. Dennoch: Wie rentiert sich die Bildungsinvestition? Mit welchem Einkommenszuwachs oder welchen Aufstiegschancen dürfen Teilnehmer rechnen?
1.400 Euro sind für eine Weiterbildung in diesem Zeitumfang ein sehr gutes Angebot. Es handelt sich um 168 Unterrichtseinheiten, die in 9 Modulen plus Prüfung angeboten werden. Leider führen - anders als viele Weiterbildungen für Physiotherapeuten - Fort- und Weiterbildungen für Ergotherapie nicht unmittelbar zu Einkommenszuwachs und verbesserten Aufstiegschancen. Das gilt ebenso für die Ausbildung zum Bobath- oder SI-Therapeuten. Die Weiterbildung "Fachergotherapeut Demenz" führt vor allem zu Wissenszuwachs, erhöht den Bildungsstand und die Qualität der Therapie. Sie kann weiterhin auf die bestehende Fortbildungsverpflichtung für Ergotherapeuten angerechnet werden. Der Nachweis einer Zertifizierung erleichtert es Ratsuchenden, geeignete Therapeuten zu finden. Zertifizierte Ergotherapeuten haben gelernt, therapeutische Maßnahmen und Möglichkeiten im Bereich Demenz auch für Außenstehende transparent darzustellen.
Einige Ergotherapeuten befürchten einen zunehmenden Wettbewerb mit Betreungsassistenten nach § 87b SGB XI. Welche berufspolitische Bedeutung hat die Fortbildung vor diesem Hintergrund?
Die Diskussionen um die Unterscheidung zwischen Betreuungsassistenten und Ergotherapeuten begleiten unseren Berufsalltag schon seit einiger Zeit. Es ist gut, wenn zunehmend verschiedene Berufsgruppen - professionelle, halbprofessionelle und ehrenamtliche Kräfte - demenziell Erkrankte versorgen, betreuen und pflegen. Zusätzlich bedarf es aber des Fachwissens und der Erfahrung von (Ergo)-Therapeuten. Es kommt vor, dass Heimleitungen den Unterschied nicht (an)erkennen können. Es entsteht der Eindruck, dass sie vor allem die höheren Personalkosten sehen und annehmen, dass angelernte Betreuungsassistenten gleiche Arbeit leisten können. Oft besteht auch unter Ergotherapeuten eine große Unsicherheit, welche Aufgaben sie in den Heimen übernehmen können, dürfen oder sollen. Ergotherapeuten werden häufig berufsfremd eingesetzt, unter anderem für pflegerische Tätigkeiten. Manchmal entsteht der Eindruck, dass nur noch das "Etikett" Ergotherapie für die Außendarstellung genutzt wird, aber wirkliche Ergotherapie nicht mehr stattfindet. Immer mehr demenziell erkrankte Menschen werden in Heimen betreut. Deshalb wird auch dort die Erfahrung und Kompetenz von Ergotherapeuten vermehrt benötigt. Durch die Zertifizierung kann die unterschiedliche, erheblich höhere Qualifikation der Ergotherapeuten auch für Heimleitungen deutlicher gemacht werden. Die angestellten Ergotherapeuten werden dadurch in ihrer Position gestärkt. Berufspolitisch bedeutet dies, dass (nicht nur) in Heimen durch eine Zertifizierung im Bereich Demenz die eigentlichen Aufgaben der Ergotherapie wieder in den Vordergrund gerückt werden.
Kommentare erbeten
Wer hat Interesse an der Weiterbildung oder hat sogar schon gebucht? Wie findet ihr das Programm? Wir würden uns über eure Meinungen freuen!